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Karl Ludwig Böke: Kassandra in Stein

Die Schauspielerin Schneider-Kaethner über Böke und sein edles Frauenporträt

 

Von Joe F. Bodenstein

 

 

Kassandra" Steinskulptur von Karl Ludwig Böke aus dem Jahr 1991. Abmessungen des Werkes 119 x 47 x 49 cm. Das Bild zeigt einen Ausschnitt des Kunstwerkes aus Natursandstein.

© Foto Wulff Kaethner

 

 

Berlin/ (bpb) Der Bildhauer Karl Ludwig Böke (1927-1996) gehört mit seinem plastischen Schaffen zu den Bildhauern der klassischen Tradition. Seine künstlerische Karriere begann nach dem Krieg mit einer Steinmetz-Lehre von 1945 bis 1947 in Leer. Das letzte Jahrzehnt seines Lebens war Böke mit der Schauspielerin Sigrun Schneider-Kaethner verheiratet. Er starb am 10. April 1996 in Oldenburg.

Zu den eindrucksvollsten Porträts von Böke gehört das Bildnis seiner Frau Sigrun. Es wurde aus einer Natursandstein-Säule geschlagen und modelliert. Das Bildnis trägt den Titel „Kassandra". In der griechischen Mythologie ist „Cassandra" die Tochter des trojanischen Königs Priamos und der Hekabe. Sie ist aus der Literatur als „Seherin" mit prophetischen Gaben bekannt. Wie es zu dieser Namensgebung der Böke-Skulptur im Entstehungsjahr 1991 kam, schildert seine letzte Ehefrau, die Schauspielerin Sigrun Schneider-Kaethner, für „Prometheus" wie folgt:

54 Stunden für Kassandra

Von Sigrun Schneider-Kaethner

Ein Sandstein, unbehauen, von einem Steinmetz für Grabsteine K.-.L. Böke überlassen, er wurde in die Werkstatt transportiert mit einem kleinen Lastwagen und Kran, auf die Atelier-Rampe abgesetzt. K.-L. Böke rieb sich die Hände vor Vergnügen, endlich ein herrlicher Sandstein, den es zu bearbeiten galt, noch nie zuvor hatte er ein Portrait in Stein gemeißelt.

Am Morgen des nächsten Tages, wir saßen zum Frühstück nebeneinander,- fasste er mein Gesicht mit beiden Händen, drehte es nach links und nach rechts, nahm mit seinen klaren, offenen Augen Maß, tastete mit den Fingerspitzen vorsichtig alle Partien des Gesichtes ab, er las regelrecht die Physiognomie eines Antlitzes und sagte dann lachend: „ Heute Mittag komm bitte ins Atelier damit ich alles überprüfen kann."

54 Stunden brauchte „ Kalu" - dieses Gesicht aus dem Stein herauszumeisseln- mit Schmirgelpapier arbeitete er die Hautstrukturen „ zart", als formte er den Stein um, zu Samt, wie Seide.

54 Stunden - und aus dem Stein schaute mich mein eigenes Gesicht an, mit einem in die Ferne gerichtetem strengen Blick.

Das ist meine „Kassandra", rief ich überrascht und er stimmte mir zu und sagte: da haben wir den Titel für dein Antlitz gleich mit hineingearbeitet-. (In diesem Jahr war ich mit der Erzählung „Kassandra" (Christa Wolf) auf Tournee und er hatte mit auch für diese Vorstellung ein Bühnenbild gebaut).

Dieses Thema war also zu dieser Zeit schon Gespräch zwischen uns: eine Seherin in der Antike, die den Untergang einer Familie, eines Volkes vorausschaute.

Er fügte noch in den unteren Bereich des Steines „ das Schwert" ein, Symbol für Schmerz, der " Pfahl im Fleische", wie er meinte.

Dieser Stein „Kassandra"- wurde mir geschenkt und begleitet seit dem Tod des Bildhauers mein Leben.

 

 

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PROMETHEUS, Internet Bulletin for Art, News, Politics and Science, Nr. 174, January 2012