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Osteuropa-Tourismus: Prag oder Budapest

In beiden Städten ist die deutsche Vergangenheit präsent

Von epb-Korrespondent John G. Bodenstein

 

Budapest am Morgen. Die Zwei Millionen-Stadt erwacht. Touristen fühlen sich dort „zuhause wie in Deutschland und im deutschsprachigen Österreich". Auch Franzosen sind begeistert von der Stadt an der 300 Meter breiten Donau, die man auch "Paris des Ostens" nennt. Viele wollen das Land persönlich kennenlernen, aus dem der Vater des derzeitigen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy stammt.

Foto: Tourionfo/epd

 

Budapest/Prag (epb) Das Interesse deutscher Touristen gilt gleichermaßen der jetzigen tschechischen Hauptstadt Prag als auch der Hauptstadt Ungarns: Budapest. In den historischen Städten beider ehemaligen kommunistischen Ostblockstaaten ist deutsche Vergangenheit, deutsche Kultur und in Ungarn die Tradition des deutschsprachigen Kaiserreichs Österreich präsent. Nach Touristen-Besuchen in beiden Städten wird für den Urlauber sichtbar: Hätten im Jahr 2011 Deutsche eine Auswahl zu treffen, so würden sie derzeit Budapest bevorzugen.

Bei vielen DeutschenTouristen ist das Herz hin- und hergerissen. Die Sehnsucht von Millionen gilt natürlich Prag, der sogenannten „Goldenen Stadt", wo die erste deutsche Universität gegründet worden war. Sie ist jedoch zugleich auch als die Hauptstadt der Benesch-Regierung nach 1945 in Erinnerung, die mit dem Segen der alliierten Siegermächte die heute noch öffentlich als völkerrechtswidrig kritisierte Vertreibung von millionen Sudetendeutschen gnadenlos durchgeführt haben. Damit hat sich die politische Mehrheit der Tschechen selbst zu einem „Volk der Täter" gegen Deutsche gemacht. Das bedeutet, im Zweiten Weltkrieg waren die Kriegsteilnehmenden Völker zugleich Täter und Opfer auf beiden Fronten. Unter diesem Aspekt haben sie ein gemeinsames Schicksal.

Beide Städte werden auch von vielen US-Bürgern deutscher und ungarischer Abstammung besucht, die „den Spuren ihrer Vorfahren" nachgehen wollen. Dies gilt auch für die Nachkommen von im Ausland lebenden Juden, deren Vorfahren ihre Wurzeln in beiden Städten hatten.

 

Vergangenheit wird überall sichtbar

Ungarn und Budapest haben ebenfalls eine „politische Vergangenheit". Dies bezieht sich auch auf Hitler-Deutschland, als zeitweise Verbündete und Unterstützer jüdischer Deportation. Die Strafen für die Ungarn waren vernichtende Bombenangriffe der Alliierten Verbände zum Kriegsende. Anschließend wurden unzählige ungarischer Staatsbürger aus traditionellen Siedlungsgebieten vertrieben. Hinzu kam die kommunistische Unterdrückung bis zum Ende des „Kalten Krieges", das von US-Präsident Ronald Reagan eingeleitet und mit Michail Gorbatschow letztlich besiegelt worden war.

Das heutige Tschechien und Prag sind mit einem historischen Ereignis für Freiheit und Gerechtigkeit im Jahre 1989 verbunden. Die Deutsche Botschaft in Prag wurde damals Zufluchtsort für Tausende als Urlauber „getarnten" DDR-Bürger. Nach dramatischen Tagen der Angst und Verzweiflung konnten im Rahmen des kommunistischen Niedergangs in Europa während der Amtszeit des deutschen Außenministers Hans-Dietrich Genscher tausende so genannte DDR-Flüchtlinge mit tschechischer Hilfe in die Bundesrepublik Deutschland ausreisen. Dies war auf sowjetischen und westdeutschen Druck auch bei den DDR-Machthabern erreicht und am 30. September 1989 verkündet worden.

Zur Erinnerung: Bereits Monate vorher hatte Ungarn für DDR-Bürger seine Grenzen nach den Westen durchlässiger gemacht. Der ungarische Außenminister HYPERLINK "http://de.wikipedia.org/wiki/Gyula_Horn" \o "Gyula Horn" Gyula Horn und sein österreichischer Amtskollege HYPERLINK "http://de.wikipedia.org/wiki/Alois_Mock" \o "Alois Mock" Alois Mock zerschnitten am 27. Juni symbolisch den ungarischen Stacheldrahtzaun an der Grenze in der Nähe von HYPERLINK "http://de.wikipedia.org/wiki/Sopron" \o "Sopron" Sopron. Grenzkontrollen blieben bestehen, aber der symbolische Akt dokumentierte vor der Weltöffentlichkeit erstmals die Bereitschaft zur Öffnung.

Bereits am 19. August wurde eine Veranstaltung in der westungarischen Stadt Sopron, die neuen Perspektiven für ganz Europa gewidmet war, von rund 900 Ostdeutschen zur Flucht nach Österreich genutzt. Die Stadt liegt etwa 60 km von Wien und 220 km von Budapest entfernt.

Nachdem Ungarn am 11. September 1989 die Grenze für im Land befindliche DDR-Flüchtlinge offiziell geöffnet hatte, flohen nach Medienberichten innerhalb von drei Tagen 15.000 Menschen und bis zum Monatsende noch einmal fast 20.000.

 

Aus der Geschichte lernen

Dies alles gehört zur blutigen, leidvollen und traurigen Vergangenheit in Europa. In den heutigen Regionen Europas mit freien Grenzen trägt jedoch der Tourismus zur Aussöhnung der Völker bei. Die Ungarn zeigen sich nach Schilderung von Touristen als „Meister der Gastfreundschaft". Deutsche fühlen in vielen alltäglichen Dingen die Zuneigung zu Deutschland. Dazu gehören: besondere Freundlichkeit, Aufmerksamkeit gegenüber Touristen, Breitschaft zu deutscher und Englischer Sprache (für US-Touristen wichtig). Hinzu kommt die Pflege der traditionsreichen Kultur-Landschaft in Ungarn mit engen Banden zu Österreich und Deutschland in Musik, Theater und Literatur. Und immer wieder wird von Touristen die offene und „ehrliche" Freundlichkeit gelobt.

Bei einem Vergleich mit Prag wird im Gespräch hervorgehoben, dass die Tschechen „nicht unfreundlich" seien. „Aber man hat doch das Gefühl, dass die Einheimischen mehr eine Hassliebe mit den Deutschen verbinde", meinten Gäste aus einem Prager Hotel im Stadtzentrum. Ein altgedienter Hotel-Mitarbeiter aus einer deutsch-tschechischen Familie tröstete klagende Touristen mit seiner offensichtlich eigenen Lebenserfahrung: „Die meisten von uns mögen die Deutschen. Aber sie sind zugleich bedrückt vom Unrecht und Leid der Vertreibung, die sie eigentlich in ihrer Generation selbst gar nicht zu verantworten haben. Wir können nur gemeinsam auf die Jugend hoffen, dass sie in künftigen Generationen friedvoll zusammenarbeitet und sich Unrecht dieser Art nicht mehr wiederholt.

 

 

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PROMETHEUS, Internet Bulletin for Art, News, Politics and Science, Nr. 173, December 2011