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Lajos Tar: Warum ein Mann Gedichte schreibt

Interview mit einem künstlerischen Multitalent aus Ungarn

 

 

Von B. John Zavrel

 

Lajos Tar: Lyriker und Komponist aus Ungarn, bei einer Dichterlesung im Museum Europäische Kunst, Schloss Nörvenich bei Köln (Bundesrepublik Deutschland). Er lebt seit vielen Jahren in der Bundesrepublik. Als EU-Bürger pendelt er problemlos zwischen Berlin, Köln, Wien und Budapest hin- und her. Seine „Gedichte aus dem Leben" über Liebe, Freud und Leid verfasst er in ungarischer und in deutscher Sprache. „Die Gefühle und Probleme sind bei den Menschen in beiden Ländern die gleichen", sagte er beim Interview.

(Copyright Photograph Marco J. Bodenstein)

 

 

Budapest/Paris/New York (bpb) Es erstaunt uns immer wieder zu erfahren, wie vielseitig die künstlerischen Begabungen von Menschen sein können. Von Jean Cocteau wissen wir, dass er nicht nur ein wortgewandter französischer Intellektueller war, sondern ein Autor von Bühnenwerken, ein Filmemacher, ein Illustrator, ein unverwechselbarer Zeichner und Lithograph.

Sein Freund Jean Marais, ein Weltstar von Film (Frankreich, Hollywood) und Theater seiner Epoche, versuchte sich ebenfalls in der Malerei und als Keramiker. Er schuf auch eindrucksvolle bildhauerischer Arbeiten. Und so könnten zahlreiche andere Beispiele des 20. Jahrhunderts zitiert werden.

Höchste Begabungen und Vielfältigkeit des Ausdrucks finden sich jedoch auch im 21. Jahrhundert. Wir sind diesem Phänomen am Beispiel des ungarischen Künstlers Lajos Tar nachgegangen, den die meisten als Gitarrenkünstler und Komponist kennen. Und mehr noch: er widmet sich der Malerei, der Porträtzeichnung sowie auch dem Formen und Modellieren.

In einem Interview mit dem lebensfrohen Künstler von ungarischem Charme haben wir ihm aus gutem Grund die Frage gestellt: Warum schreibt ein Mann Gedichte?

Darauf erwiderte er: „Das kommt nicht über Nacht. Bei mir hat es bereits als junger Mensch in der Schule angefangen und sich über das Studium hinweg verstärkt. Dichtung ist für mich ein Ventil dafür, meine Phantasien, Beobachtungen und inneren Vorstellungen mehr oder weniger freien Lauf zu lassen.".

In einem Interview mit B. John Zavrel, dem Kunstmäzen und Gründer des Museum of Europaen Art in USA, hat sich Lajos Tar im Frage- und Antwort-Spiel wie folgt geäußert:

 

 

Der Wortlaut des Interviews mit Lajos Tar

Frage von B. J. Z: Sie haben auf Ungarisch zahlreiche Gedichte Veröffentlicht. Nach vielen Jahren schreiben Sie nun auf Deutsch! Ist dieser Wechsel schwer ?

Antwort von Lajos Tar: Ja und nein. Die Antwort ist so lange ja, bis man seine Gefühle und Gedanken versucht zu übersetzen. Sobald aber die Ideen auf Deutsch aufkommen, wird die Sprache kein Problem mehr bedeuten.

 

Frage: Oft erscheinen religiöse Motivbildungen bei Ihnen. Sind Sie gläubig?

Antwort: Niemand kann von sich behaupten, gläubig oder das Gegenteil davon zu sein. Ein indischer Guru lehrte: „Religion ist, was man dann tut, wenn man allein ist."

Ich denke, Gottesfurcht und den Glauben zur Schau stellen und sich ständig Beweise dafür liefern zu müssen… Na ja ..!.

Sagen wir so: Dies sind schon immer Wünsche der menschlichen Gruppen gewesen, die sich zu vergöttern versuchten, aber mit tatsächlichen sakralen Erfahrungen nichts zu tun haben.

 

Frage: Für wen schreiben Sie?

Antwort: Für die, die lesen können und lesen wollen. Das klingt seltsam, aber ich kenne nur Wenige, die empfindlich genug sind für Poetik (Poesie).

Aber ehrlich gesagt: ich bin gewohnt vorerst für meine „Schublade" zu schreiben. Es stört nicht, wenn nur ich davon weiß. Und Sie dürfen auch nicht vergessen, dass trotz gigantischer Masse von Büchern wird nur ein winziger Bruchteil gelesen. Überhaupt lassen wir uns verblenden durch Zahlen, Daten. Das ist eine Art manipulative Gehirnwäsche.

Zum Beispiel: da gab es in der DDR einmal Zeitungen wie Freie Jugend, Freies Berlin, Freie Künste. Und wir wissen auch, dass es mit der Freiheit im Kommunismus hapert; und zwar gewaltig!

 

Frage: Zurück zum Vers! Oft erscheinen düstere Wortbilder und das Wort „Stille" scheint sehr wichtig zu sein für Sie?

Antwort: Nun, die Stille ist nicht unbedingt nur schweigen. Ich denke, die Stille bedeutet eine Art Anspruchslosigkeit. Und das Wort wächst ja aus der Stille. Ohne Pause (Still) gibt es auch keine Musik.

Und Stille ist auch Bereitschaft und in der Stille beobachtet man. Und konzentriert beobachten ist (nach Leonardo da Vinci) der wichtigste Zeitvertreib.

Diese Stille meine ich ! Meine Stille ist nie unfruchtbar.

 

Frage: Gilt dies für alle Künste?

Antwort: Ich glaube schon!

Betrachten Sie die Malerei! Der Maler muss immer wieder einen Schritt zurücktreten, damit er das Ganze beobachten kann. Und dieser Schritt fehlt mir bei Vielen heute.

Dieser Schritt ist kein Rückfall, das ist eine Art meditative Beobachtung. So möchte ich schreiben. Oder besser gesagt, kann ich nur so schreiben.

Das ist natürlich sehr privat. Aber letztendlich ist die Kunst immer eine Aufgabe eines Einzelnen, im Gegensatz zur Wissenschaft, die die ganze Menschheit beschäftigt.

 

Frage: Schreiben Sie viel oder eher selten ?

Antwort: Im Gegensatz zur Musik, hier in der Literatur gibt es keine Wiederholung. Kein Komma, keine Routine. Man weiß nie, wann man einen Punkt erreicht, wo man nie mehr schreiben kann.

Zum Beispiel Rimbauds, Mallarmé oder Shakespeare. Bestes Bespiel ist Shakespeare, der auf dem Gipfel seiner literarischen Arbeit verstummt. Er ging in sein Dorf, trank und spielte Karten. Er schrieb nichts mehr.

 

 

B.J. Zavrel: Danke für das Gespräch.

 


 

Lajos Tar: Das Leben

 

Das Leben …. wie eine Zwiebel

Schicht auf Schicht

Jahr auf Jahr

Und in der Mitte ..?

 

Nichts … nichts !

 

Wenn nicht mehr alle Zellen werden bereit

sich zu erneuern für mich,

 

Wenn morgens meine Hemden mir nicht mehr

So bekannt vorkommen…

 

Dann ahnt man, / ja ahnt man schon,

dass am Ende wird /…alles einfach …

 

So einfach, wie eine Blume.

 

Und das passiert plötzlich, wie Regentropfen sich von

Platschen trennen.

 

Das Leben …. Wie eine Zwiebel.

Schicht auf Schicht

Jahr auf Jahr

Und in der Mitte…?

 

 

 

 

 

 

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PROMETHEUS, Internet Bulletin for Art, News, Politics and Science, Nr. 157, July 2010