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Manfred Thiele: Im Schatten des gelben Sterns

Schriftsteller auf den Spuren von Opfern und Tätern des 20. Jahrhunderts

Von Berlin-Korrespondent Bernd Castell

 

Der Gelbe Stern" war als Erkennungszeichen von Juden im Dritten Reich zu tragen. Das Emblem des David-Sterns (wie auf dem Foto abgebildet) ging auch als „Juden-Stern" in die Geschichte des weltweiten Antisemitismus ein.

Foto: Archive History

 

Mühlhausen/Berlin (bpb) Der deutsche Schriftsteller Manfred Thiele hat sich als Autor auf Geschichts-Literatur des 20. Jahrhundert spezialisiert. Seine umfangreichen Recherchen konzentriert der 1929 geborene auf seine Heimatstadt Mühlhausen. Gemeint ist die Stadt Mühlhausen in Thüringen in Mitteldeutschland. Die Geschichte des Ortes ist über eintausend Jahr alt. Zu den berühmten Söhnen der Stadt gehört der Ingenieur und Brückenbauer Johann August Roebling, der die Brooklyn Bridge in New York konstruierte.

In den letzten 100 Jahren hat Mühlhausen jedoch kein Medienwirksames internationales Interesse gefunden. Zugleich ist die Stadt ein Musterbeispiel für alle Arten von Untaten, Verbrechen und Ungerechtigkeiten, die im ersten Weltkrieg und dann in der Weimarer Republik über die NS-Zeit und in der kommunistischen DDR passiert sind. Diese durch authentische Schilderung aufzudecken, ist ein moralisches Anliegen Thieles.

Der Leser seiner Schriften erkennt, dass es dem Autor nicht um Verurteilungen von Menschen und deren Untaten geht. Er will wahrheitsgetreu und ehrlich die oft grausamer Fakten festhalten und bewahren. Der Erhalt dieser Erinnerungen ist ein wichtiger Beitrag zu dem von der Politik immer wieder zu hörenden Appell, dass Kriege und Unterdrückung, wie es die Menschen in ganz Europa zu unterschiedlichen Zeiten erlebten, „sich nie mehr wiederholen" dürften.

So bleibt auch seine Schrift „Im Schatten des gelben Sterns" von 1990 stets eine aktuelle Ermahnung. Thiele hat darin den Antisemitismus in Mühlhausen und die verheerenden Folgen in der NS-Zeit recherchiert. Was in Mühlhausen sich ereignet hatte, ist auch in ähnlicher Weise in tausenden kleinen und großen Städten in Deutschland ab 1933 passiert. Die Verfolgung und Enteignung der Juden hatte Auswirkungen in viele Länder der Erde. Dies gilt auch für die USA als einstiges Zufluchtsland jüdischer Emigranten.

 

Der Juden-Bube kam als US-Leutnant Maas zurück

So liest man mit teilnehmendem Interesse die Geschichte des US-Leutnants Julius Maas, die Manfred Thiele wie manche andere gründlich recherchierte. Er kam mit der US-Army zurück, als diese am 4. April 1945 Mühlhausen fast kampflos einnahmen. Zehn Jahre vorher hatte der jüdische Schüler Julius die Heimatstadt verlassen können. Durch seine Orts-Kenntnisse konnte er bei der Rückkehr in einem US-Jeep die ihm folgenden Panzer auf Schleichwegen in die Stadt lotsen, ohne mit Panzersperren konfrontiert zu werden.

Autor Thiele schreibt in der Aufzeichnung: „Als am Tage danach Leutnant Maas auf einem Panzer an seinem Elternhaus vorbei nach Görmar zu rollte, begegnete ihm auf der Straße der Milchmann Born. Maas von seinem Turm aus rufend: „Guten Morgen Herr Born". Dieser Antwortete wie automatisch:„Guten Morgen!" Dem verdutzten Gegengruß folgte die Frage: „Wer bist'n da oben, he?" Und der GI erwiderte: „Der Maas!"

Der Milchmann aus der NS-Zeit war völlig überrascht: „Der M a a s ? Mensch Junge, nimm den Helm ab, damit ich's glauben kann". Der Leutnant tat es. Er freute sich als einstiges „Opfer" deutscher Politik offensichtlich über den guten Ausgang des unverhofften Treffens.

Die Nennung vieler jüdische Bürger und die Darstellung deren Schicksale brachte Thiele auch Sympathie bei deren Nachkommen. Sie übermittelten es ihm schriftlich und mündlich. Im Jahre 2013 besuchte eines dieser Opfer, Prof. Peter Weil aus Chicago, mit seiner Familie Manfred Thiele, um sich für seine Mühe der Aufarbeitung jüdischer Vergangenheit bei ihm zu bedanken.

Die Recherchen über jüdische Familien und ihr Schicksal werden vom Autor fortgesetzt. Er hat mit der Aufzeichnung „Im Schatten des gelben Sterns" nicht nur dieses in der damaligen DDR heikle Thema aufgegriffen. In der Folge schrieb Thiele auch über die Verbrechen und Methoden des Staatssicherheitsdienstes der DDR (Stasi). Zu diesem Themenbereich gehört auch das Buch „Flucht ohne Ende", das anschaulich die Bürgerverluste der Stadt Mühlhausen von 1945 bis 1961 und ihre Ursachen beschreibt.

Manfred Thiele ist ein investigativer Autor. Ermutigt zu seiner gründlichen Spurensuche Beschönigungen und Verfälschung hat Thiele ein Zitat von US-Präsident Ronald Reagan. Dieser sagte in seiner Amtszeit : „Die ganze Welt weiß alles über die Verbrechen der Deutschen, aber n i c h t s über die Verbrechen a n Deutschen."

Hinweis: Interessenten an Büchern von Manfred Thiele können eine Preisliste lieferbarer Bücher kostenlos anfordern bei: marco-vg@t-online.de

 

(2. August 2015)

 

 

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PROMETHEUS, Internet Bulletin for Art, News, Politics and Science, Nr. 216, August 2015